Dem Antisemitismus den Kampf ansagen

Das Erscheinungsjahr 1932 irritiert, da das eigentliche Jubiläumsjahr 1921 war. Es stellt sich daher die Frage: Wieso wird erst 11 Jahre später darauf Bezug genommen?

Objekt in der Ausstellug

Titel des Objekts: Wir deutsche Juden: 321-1932
Jahr: 1932
Urheber: Centralverein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens (C. V.)
Maße: 15,5 x 22
Umfang: 48 Seiten
Standort: Universitätsbibliothek Frankfurt am Main, Bestand der ehemaligen Stadtbibliothek
Signatur: K 15/499 Online-Ausgabe

Vanessa Rother

2021 wird das 1700-jährige Jubiläum des Dekrets von 321 gefeiert. Mit dem Dekret gestattete Kaiser Konstantin die Berufung von Juden in die Stadträte. Im Rahmen dieses Festjahrs wird die lange jüdische Geschichte in Deutschland vielseitig thematisiert, wie auch auf dieser Online-Plattform. Im Jahr 1932 war es ebenfalls das Anliegen des Centralvereins deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens (C. V.), jüdisches Leben und seine lange Präsenz mit einer kleinen Denkschrift unter dem Titel Wir deutschen Juden: 321-1932 zu veranschaulichen. Allerdings geschah dies vor einem anderen politischen und historischen Kontext als das aktuelle Festjahr. Zum Anlass der 1932 erschienenen Denkschrift wurde das Jubiläum 1600 Jahre jüdisches Leben vor dem Hintergrund aktueller Diskriminierungserfahrungen hervorgehoben. Der C.V. wurde 1893 gegründet und verfolgte das Ziel, Antisemitismus zu bekämpfen und die Rechte jüdischer Staatsbürger*innen zu schützen. Dabei betonte der Verein stets den Status von Juden und Jüdinnen als deutsche Bürger*innen und ihren Patriotismus. Die Denkschrift ist 15,5 mal 22 cm klein und umfasst 48 Seiten. Das Objekt gehört zum Bestand der Hebraica- und Judaica- Sammlung der Universitätsbibliothek und trägt die Signatur K 15/499.

Das Erscheinungsjahr 1932 irritiert zunächst, da das eigentliche Jubiläumsjahr 1921 war. Es stellt sich daher die Frage: Wieso wird erst 11 Jahre später darauf Bezug genommen?  Was hatte sich 1932 im Vergleich zu 1921 verändert? Die starke Thematisierung von antisemitischen Vorfällen und Vorurteilen geben eine Antwort.

Blick in den Ausstellungsraum mit Reproduktionen aus dem Objekt

Ziel der Denkschrift war also, dem stetig weiter radikalisierenden Antisemitismus entgegenzuwirken. Juden und Jüdinnen werden als fester Bestandteil der deutschen Nation und Tradition präsentiert. Der Hauptteil beschäftigt sich mit verschiedenen Vorurteilen gegen Juden und Jüdinnen. Anhand von Illustrationen und Texten werden diese vom C.V. widerlegt und aufgeklärt. Besonders beeindruckend ist der Abschluss der Publikation. Es wird der Wille zur friedlichen Aufklärung der antisemitischen Vorurteile betont, obwohl gleichzeitig klar ist, dass der Antisemitismus so weit fortgeschritten war, dass das „Unvernünftige bewußt über die Vernunft gestellt wird“ (S. 46). Da den jüdischen Aufklärungsversuchen größtenteils keine Beachtung geschenkt wurde und kein rationales Verständnis erwartet werden konnte, bekennt sich der C.V. in seiner Denkschrift dazu, das „geliebte Vaterland“ trotz der Diskriminierungen nicht zu verlassen, und betont, dass die Mitglieder „unser Heimatrecht bis zum Letzten verteidigen“ würden.

Das Objekt kann als jüdische Antwort auf den aufstrebenden nationalistischen Hass und als Versuch, sich friedlich gegen den Antisemitismus zu wehren, gelesen werden. Es zeigt vor allem auch die jüdische Position zur deutschen Nation, unabhängig der politischen und gesellschaftlichen Situation. Es wird beschrieben, dass Jüdinnen und Juden, die „deutsche Natur“ lieben und mit der deutschen Sprache und Kultur verwachsen sind. Die Spannung des jüdischen Lebens in der späten Weimarer Republik zeichnet sich ab: die Liebe zum Vaterland einerseits und andererseits die sich immer weiter zuspitzende politische und antisemitische Diskriminierungserfahrung.

Die Denkschrift ist letztlich ein Ausdruck jüdischen politischen Handelns in der Weimarer Republik und versucht, die politisch aufrollende Lawine des Antisemitismus aufzuhalten. Trotz des wachsenden Hasses sind die Herausgeber davon überzeugt, das sogenannte deutsche Vaterland nicht aufgeben zu wollen.

Dieser Beitrag von Vanessa Rother entstand im Rahmen des Projektseminars ’17 Motive jüdischen Lebens‘ an der Goethe-Universität Frankfurt am Main im Sommersemester 2021.

Literatur:

Brenner, Michael: Überraschender Fund, in: Jüdische Allgemeine 21.08.2021 (letzter Aufruf: 18.10.2021)

Brenner, Michael, Central-Verein in: Enzyklopädie jüdischer Geschichte und Kultur, hrsg. von Dan Diner. Stuttgart 2011, Bd. 1, S. 480-485.

Forschungsnetzwerk zum C.V. (letzter Aufruf: 10.08.2021)